Und führe mich in der Versuchung – Begleitung durch die Dunkle Nacht der Seele

Autorin: Christiane Peltzer. Mystik und die Dunkle Nacht der Seele – die Perspektive der transpersonalen Psychotherapie, verfasst für den Vortrag auf der SEN Tagung im November 2014.

Wie unterscheidet sich eine transpersonale Psychotherapie (transp. PTH) von anderen psychotherapeutischen Methoden? Unterstützt transp. PTH die spirituelle Praxis? Kann transp. PTH durch die Dunkle Nacht der Seele führen? 

Ich gehe in meinem Text nicht auf die Behandlung der akuten spirituellen Krise ein,  dazu verweise ich auf meinen Artikel: “Spirituelle Krise – Was kann man tun“, der 2004 im Phönix erschienen ist und auf meiner Internetseite nachzulesen ist. 

Heute schreibe ich über die Begleitung von Menschen, die durch ihre Meditationspraxis oder auch unverhofft die Auflösung ihrer Ich-Strukturen bemerken und die vor der unermesslichen Weite, Freiheit und Strukturlosigkeit, die plötzlich erfahren wird, angstvoll zurückschrecken. An diesem Punkt braucht die begleitende „Bergführerin“  tiefes Vertrauen und eigene Erfahrung auf dem spirituellen Weg, um dem Gegenüber zur Seite stehen zu können. 

Nur wenn jemand bereit ist, sich dieser existenziellen Erfahrung zu stellen, kann ein Hineinreifen in die neue Freiheit sinnvoll begleitet werden. In dieser Konfrontation kann die  Integration aller Persönlichkeitsanteile und gleichzeitig ihr Loslassen, ihr Relativieren, stattfinden. Dieser Prozess braucht erfahrene angstfreie Begleitung.

Schauen wir zunächst auf die übliche Herangehensweise in der psychosomatischen oder psychotherapeutischen Behandlung: 

Menschen kommen zur Psychotherapie mit körperlichen und seelischen Problemen, die sie daran hindern, ihren Alltag, ihr Leben und Erleben beschwerdefrei, also ohne Hindernisse, vielleicht sogar zufrieden und glücklich zu meistern.

Ziel der Behandlung ist also Heilung, den anderen wieder „heil“ zu machen. 

Geht das überhaupt und was ist Heilung? 

Und welche Aufgabe hat der Therapeut dabei?

Unter Heilung verstehe ich ein Heil-Werden i.S. von Ganz-Werden: ich weiß um mich und meine Fähigkeiten, mein Denken und Fühlen ist mir bewusst, ich kann mich damit authentisch zeigen, meine Fähigkeiten und Ressourcen stehen mir zur Verfügung. 

Psychotherapie befasst sich also weitgehend damit, das Ichder Person kennen zu lernen, Verstehen für die Entwicklung des Ichzu erwirken und dieses Ichdann zu stabilisieren.  Aus integraler Sicht (siehe Ken Wilber) entwickelt sich der Mensch ab seiner Geburt von einem NICHT-ICH, auch präpersonal genannt, durch eine Fülle von Konditionierungen, die wir im Verlauf unseres Lebens erfahren und mit denen wir uns immer mehr identifizieren,  zu einem ICH,auch personal  oder Persona genannt.

Das personale Bewusstsein empfindet sich als zentrales Ich-Bewusstsein, das mit Hilfe des Verstandes alle Gefühle, Reflexe, Gedanken etc. steuert und dabei selbstreflexiv ist. Fragen wir uns jedoch, wo dieses Ichdenn ist, merken wir schnell, dass wir Ichnicht sehen, anfassen, festlegen können. Ichist etwas, was sich ständig verändert.

Fragen wir uns dann, wer die ist, die sich diese Frage nach sich selber stellt, merken wir, das es eine innere Instanzgibt, die auf sich selber schauen kann, die sich selber innerlich beobachten kann und die sämtliche Ereignisse des Lebens drum herum bemerken kann – wir nennen diese Instanz die INNERE BEOBACHTERIN. Diese verstehe ich als Erweiterung der aus der Tiefenpsychologie bekannten therapeutischen Ich-Spaltung. 

Schaue ich von dieser Perspektive der Inneren Beobachterinauf mich und die Welt, ist der Blickwinkel größer als das Ich, ohne dass die Funktionen und Qualitäten des Ichverloren gehen. Dieser Blickwinkel ist transpersonal. 

Hierbei handelt es sich nicht um eine Dissoziation im klinischen Sinne. Es wird nichts abgespalten, sondern der Bezug zu sich selber bleibt immer in Achtsamkeit erhalten. Das ist besonders im Umgang mit Meditierenden die eine labile Persönlichkeitsstruktur haben zu beachten.

Schaue ich von diesem Blickwinkel, bemerke ich, wie sich das Ichständig verändert, wie sich der Verstand dauernd neue Erklärungen für sein So-Sein sucht, wie er alles Wahrgenommene ständig beurteilt und in Kategorien einsortiert. 

Passiert etwas im Leben, was nicht in diese Kategorien passt, entsteht Angst. 

Die größte Angst hat das Ichvor seiner Selbstauflösung, die sich wie Sterben anfühlt. Deshalb versucht der Verstand alles, das Ichin seiner illusionären Beständigkeit zu bestärken.

Das transpersonale Bewusstsein kann also die sog. stabile Ich-Struktur relativieren und in einen umfassenderen Kontext stellen. Es kann sehen, dass alles Denken und Fühlen nur vorrübergehender Natur ist, dass nichts zu fassen ist und bleibt. 

Das einzige, was bleibt, ist die Beobachtung von allem, was in mir und um mich herum passiert. Dabei ist diese Beobachtung frei. Es ist eher ein Zustand des Schauens, ein Gewahrsein, in dem beobachtet wird, wie sich  jeden Moment ein neues Ichkreiert und wieder vergeht.  

Klassische Psychotherapie unterstützt die Stabilisierung des Ichs, indem sie innere Ambivalenzen deutlich macht und so dem Klienten hilft, eine neue innere Balance zu finden. Nähe und Distanz, Öffnung und Abgrenzung, Anpassung und Autonomie sollen differenziert wahrgenommen und individuell gestaltet werden können. So will Psychotherapie den Leidensdruck des Klienten mindern und ihn darin unterstützen, seine soziale Funktionsfähigkeit wieder herzustellen.

Transp. PTH geht über das Ich-Bewusstsein hinaus in den transpersonalen Bewusstseinsraum. Sie erschließt damit eine Dimension, die als Leinwand für die individuelle Biografie gesehen werden kann, eine Leinwand, auf der der Film des Lebens zu betrachten ist. 

Heil-Werden bzw. Ganz-Werden schließt diese transpersonale Dimension mit ein.

Welche Aufgabe hat nun der Therapeut? 

Ist Heilung etwas, was der andere, der Therapeut, für mich tun kann oder gibt es ein inneres Wissen um mich und die Welt, das sich unter gegebenen Umständen entfalten kann? 

Müssen oder können wir als Therapeuten überhaupt wissen, wann der Andere heil ist? Oder vollzieht sich Heilung von Innen heraus, nach eigenen zeitlichen Gesetzen mit individueller Kreativität?

Dann wäre Psychotherapie kein aktives Tun des Therapeuten, sondern damit Heilung passieren kann braucht es dann eine Grundhaltung im Sein, ein radikales Akzeptieren und Erkennen des Anderen, einen Raum, in dem Veränderung geschehen kann und die Bereitschaft des Therapeuten, diesen Heilungsprozess zu begleiten und zu fördern. 

Dabei kommt es nicht darauf an, was ich als Therapeutin für den Anderen sinnvoll oder gut finde, sondern radikal zu akzeptieren, dass das innere Wissen des  Anderen mein Wissen um das Innenleben des Klienten immer übersteigt. In dieser inneren Haltung bleibt gleichzeitig das unmittelbare Erleben des Klienten und das eigene Fühlen im Focus der therapeutischen Bearbeitung.

Aus dieser Haltung ergibt es sich, dass der Andere mit seinen Problemen nicht nach moralischen oder anderen Normen bewertet wird in gesund/krank oder richtig/falsch, sondern eine erfolgreiche Behandlung misst sich daran, ob der Andere sich innerlich entfalten, entwickeln, voranschreiten kann, mehr Möglichkeiten für alltägliches Handeln finden kann.

Therapieziel ist damit nicht in erster Linie die Überwindung aller Probleme, also Problemfreiheit, sondern eine Haltung zu sich und dem Leben zu finden, die alles was ist annimmt und integriert. 

Aufgabe des Therapeuten ist es dann, zusammen mit dem Klienten den für den Klienten stimmigen Weg zu finden und ihn in seiner Verschiedenheit von anderen Menschen absolut zu akzeptieren. 

Transp. PTH geht dann noch einen Schritt weiter und begleitet den Klienten in eine innere Freiheit, sodass ein freies Handeln im Alltag möglicht wird.

Dabei ist die transp. PTH auf die Ressourcen und die individuellen Kompetenzen des Klienten ausgerichtet. Gleichzeitig bringt sie die Perspektive des überindividuellenSeinsmit ein, um so nach dem Erkennen der Identifizierung mit dem Ichund seinen Problemen, das Loslassen von dieser Identifizierung zu ermöglichen. 

Bei diesem Prozess sind Übungen der Achtsamkeit und Meditation äußerst hilfreich.

Transpersonale PTH ist also keine neue Therapieform, sondern die Erweiterung der herkömmlichen PTH um die non-duale Bewusstseinsebene. Diese Ebene muss dem Therapeuten also bekannt sein, bzw. er sollte in dieser non-dualen Bewusstseinsebene zuhause sein und von diesem inneren Platz arbeiten. Den transpersonalen Bewusstseinsraum kann man nicht „machen“, er ist vielmehr immer da und wir Menschen entfalten ihn in uns oder reifen in ihn hinein. 

Ein chin. Sprichwort sagt: 

„Ich bat den Mandelbaum: Erzähle mir von Gott. Da fing er an zu blühen.“ 

So sollen auch wir erblühen in unserem authentischen Mensch-Sein und im Wissen, dass wir reines Bewusstseinsind, dass sich durch und in einem menschlichen Körper selbst erfährt und ausdrückt. Dieses Erblühen gelingt nicht jedem und es gelingt nicht immer ohne Krisen.

Wie vollzieht sich dieser Prozess?

Vom psychotherapeutischen Aspekt her betrachtet ist Icheine Ansammlung von Konditionierungen und Zuschreibungen von Anderen an uns, die wir im Laufe des Lebens annehmen. Da sind Eltern, Lehrer, Vorgesetzte, Freunde, Partner – alle geben uns eine Rückmeldung, wer wir sind, welche Eigenschaften wir haben, was wir können oder auch nicht können, welche Begabungen wir haben, was wir denken oder fühlen sollten oder auch nicht und bewerten uns dann auch noch, wie gut oder schlecht wir diese Zuschreibungen angenommen haben. 

Wir werden in der Gesellschaft bestimmten Gruppen zugeordnet, Berufsgruppen, sozialen Gruppen, religiösen Gruppen etc. und diese Zuordnungen wechseln ständig, sie verändern sich so wie sich unser Körper, unsere Gefühle und Gedanken ständig verändern. Ichbesteht also aus unendlich vielen unterschiedlichen Geschichten, die ich erlebt habe und mit denen ich mich identifiziere. Ichist also kein eigenständiges Wesen, sondern eine Ansammlung von eingeprägten Verhaltensweisen und Mustern. Dieses Ichgibt der Wahrnehmung ein Zentrum und eine Richtung im Alltag.

Zu dieser Ansammlung von Persönlichkeitsaspekten gehören neben Emotionen und Gedanken auch verdrängte Anteile unseres individuellen Bewusstseins, Ängste, Depressionen, Zweifel, Misstrauen, Wut oder Hass, kurz gesagt, die Schattenseite des individuellen Bewusstseins, der Persönlichkeit. Auch sie will gesehen, akzeptiert und schlussendlich integriert werden, denn los werden wir unseren Schatten nicht. 

Gerne sehen wir diese Dämonen (von griech. Daimon = abgespalten) im Anderen, mögen sie nicht in uns annehmen. Deshalb ist es auch Aufgabe der PTH zu helfen, diesen abgespaltenen, von uns als negativ bewerteten Anteil zu erkennen, zu akzeptieren und damit in uns zu integrieren. 

Hilfreich ist dabei, alleswas erscheint anzuschauen, ohne es zu bewerten: Ja, so ist es. Oder: „Die Dinge wie es ist.“sagt Shunryu Suzuki. Dieser Prozess der Externalisierung und anschließenden Internalisierung ist notwendig, um eine stabile Persönlichkeit zu entwickeln.

Er kann dann darüber hinaus zum transformierenden Prozess, zum Bemerken des transpersonalen Bewusstseinsraumes werden, wenn durch die Haltung der innerenBeobachtungdeutlich wird, dass es ständig wechselnde Gedanken und Emotionen gibt und dass es ein permanentes Angebot an unser Ichgibt, sich doch mit diesen Gefühlen zu identifizieren. Gleichzeitig merken wir, dass nichts bleibt, dass wir nichts festhalten können.

Wir bemerken, wie sehr Gedanken und Gefühle uns steuern und nicht wir sie. Wir bemerken aber auch, dass die innere Instanz der Beobachtungvon all diesen Gefühlen und Gedanken unberührt bleibt, dass es also einen inneren Kern gibt, der nie berührt wurde und in seiner Qualität unberührbar ist. Verbinden wir uns mit dieser inneren Perspektive – was wir in der Meditation üben – dann können wir die Emotionen oder aufkommende Gedanken beobachten, ohne dass sie uns völlig überschwemmen und unser Bewusstsein trüben. Wir bekommen inneren Abstand zu ihnen. Damit sind sie keine Dämonen mehr, denen wir uns ausgeliefert fühlen.

Dieser Prozess vollzieht sich normalerweise nicht ohne Krisen. Krisen gehören zu unserem menschlichen Leben dazu, Krisen ermöglichen uns zu reifen.  

Krise bezeichnet meistens eine Lebenssituation, in der die üblichen Bewältigungsmechanismen  nicht ausreichen, mich im Alltag zu verankern und ihn adäquat zu bewältigen. Wir können solche Lebenssituationen als existentielle Bedrohung, als „verrückt“ werden erleben, wir haben Angst nicht mehr „normal“ zu funktionieren. 

Als spirituelle Krise bezeichne ich eine Lebenssituation, in der das Alltagsbewusstsein plötzlich mit inneren und/oder äußeren Erfahrungen konfrontiert wird, die es nicht kennt, die von der bekannten Wahrnehmung abweichen, kurz, Momente in denen etwas in unser Leben hineinbricht, was sich der Verstand nicht erklären kann z.B. energetische Phänomene, erweiterte Wahrnehmung, Grenzerfahrungen, mystische Momente, Verlust der Ego-Struktur, reines Bewusstsein, Aufhebung des Gefühles von Abgetrennt-sein, keine Grenzen mehr spüren etc. 

Vielleicht kennen sie den Buchtitel von Krishnamurti: “Einbruch in die Freiheit“.

Transpersonale PTH kann in diesen Momenten helfen, die Erfahrungen zu verstehen und in die Persönlichkeitsstruktur zu integrieren. So „reift“ die Persönlichkeit in eine Stabilität hinein, die die Intensität des reinen Bewusstseins halten – containen – kann. 

Spirituelle Krisen sind wie Barrieren in unserem Bewusstsein, entstanden aus Persönlichkeitsanteilen, die ungenügend integriert sind. Nur als „ganzer“ Mensch kann ich mich transformieren, d.h. es braucht den Mut, mich mit meiner Persönlichkeitsstruktur zu konfrontieren, sie aus der Perspektive der Inneren Beobachteringanzheitlich zu sehen und mich so wie ich bin radikal ehrlich anzunehmen – ohne jegliche Bewertung.

Dabei ist die Erscheinungsform und das Ausmaß einer solchen spirituellen Krise individuell vollkommen unterschiedlich. Bei einer labilen Persönlichkeit kann die Krise bis zu schwerer Depression und sogar Suizidalität führen. Manche Menschen können vorübergehend psychotisch oder mit vielfältigen psychosomatischen Symptomen reagieren. Dabei verwickelt sich die von der spirituellen Erfahrung ausgelöste Angst leicht mit neurotischen Prägungen und Abwehrformen.  

Ist die Person in ihrer Primärpersönlichkeit strukturierter, fühlt sie sich meist nicht so überschwemmt , sie hat oft weniger Angst und kann die Geschehnisse dann mehr aus der Perspektive der Beobachterin sehen, die einen besseren Überblick hat. 

Es hängt also maßgeblich von der eigenen Persönlichkeit ab, wie das plötzliche Verschwinden der Ego-Struktur erlebt wird, ob ich es als spirituelles Erwachen, als Erleuchten, erfahre oder als Krise. Auch macht es einen großen Unterschied, ob mich dieses Ereignis unvorbereitet trifft, oder ob ich bereits meditiere und mich mit dem spirituellen Wissen der Weisen beschäftigt habe und schon theoretisch von der De-Identifikation gehört habe oder auch in der Meditation Zustände von Körperauflösung für Momente erlebt habe.

Was ist in einer solchen Situation zu tun? 

Zunächst brauche ich eine Begleitung, die sich mit diesen außergewöhnlichen Zuständen auskennt, ich brauche einen Führer, der mir sagen und zeigen kann, das man eine solche Situation durchstehen kann, denn am schlimmsten ist meist die Angst. 

Es braucht Begleitung und Stabilisierung in der akuten Situation durch bestimmte Körperübungen, Gespräch, Atemübungen und manchmal auch durch Medikamente.

Wenn sich dann Verstand, Nervensystem und Körper wieder beruhigt haben, beginnt aus meiner Sicht die eigentliche innere Arbeit, nämlich das, was ich in diesem Moment des Verlustes der mir bekannten Ich-Strukturerlebt habe, auch mental zu begreifen, zu verarbeiten und schlussendlich zu integrieren.

Plötzlich habe ich eine vollkommen andere Sicht auf mich, die Welt, die Wirklichkeit.

Kann ich diese Sicht wirklich annehmen und sogar im Alltag leben? Hier passiert eine Ungeheuerlichkeit. Ich bin gar nicht dieser Körper. Diese Welt ist gar nicht konsistent. Wenn mein Körpergefühl und mein Gefühl für Ichverschwindet, gibt es aber weiterhin ein Bewusstsein zu Sein. Bin ich das? Bleibt das so? Kann ich damit in dieser relativen Welt zurecht kommen? Oder bin ich jetzt verrückt geworden? 

Und was ist mit der Angst, die mich immer wieder zurückwirft auf mir bekannte Strukturen und Gewohnheiten?

Auch als gereifte, integrierte Persönlichkeitkann ich in die Krisegeraten. 

Diese Phase bezeichnet Johannes vom Kreuz als Dunkle Nacht der Sinne, der Seele unddes Geistes.

Sie erscheint oft wie eine klassische Depression. Sie ist meist durch Angstgekennzeichnet, eine Angst, die nicht auf etwas gerichtet ist sondern pure Angst aus sichselbst heraus. Hinzu kommen oft Sinnlosigkeit und Hoffnungslosigkeit. 

Jetzt wird radikal deutlich, dass das Ich, mein Wille, meine bisherigen Lebenserfahrungen, mir nicht wirklich helfen können. Da ist keinerlei Sicherheit mehr in meinem Leben. Das Ichkann meine Fragen nach dem Sinn des Lebens, nach der wirklichen Wirklichkeit, nach Tod und Sterben und was dann wohl kommt, gar nicht beantworten. Es ist die Angst zu sterben.

DasIchbemerkt in diesem Moment seine eigene Wirkungslosigkeit. Dadurch fühlt es sich bedeutungslos und sinnlos und produziert als Reaktion darauf sofort weitere Gefühle von Angst, Depression und Leere, oder auch körperliche Symptome. Es bemerkt, dass es Ichals etwas Festes oder  Eigenständiges gar nicht gibt. Jegliche Sicherheit über mich und die Welt ist verloren gegangen. Wer bin Ichdenn? Die ganze Person stellt sich damit selber in Frage, das scheinbar so stabile Alltagsgefüge gerät aus seiner Routine, der Mensch  ist zutiefst erschüttert. Das wird auch als das Sterben des Ichbezeichnet.

DieIch-Ebene trägt nicht mehr, das Bewusstsein ist in einer spirituellen Ebene aber auch noch nicht gefestigt. Das, was vorher Halt gab, die Meditation, macht jetzt auch noch Angst. Es kann der Gedanke aufkommen, erst die Meditation habe mich dahin gebracht. Damit kommen auch noch Schuldgefühle auf. Der Mensch gerät in absolute Panik. Oft kann der gewohnte Alltag nicht wieder aufgenommen werden, das macht noch mehr Angst, und das Ichversucht verzweifelt aus diesem Zustand wieder herauszukommen.

Bemerkt wird auch, wie wenig das Ichdie Gefühle kontrollieren kann. Es hat nicht das Steuer in der Hand, sondern Gefühle und Gedanken steuern das Ich.

Dass dieser Zustand keine klassische Depression ist sondern ein Transformationsprozess, eine Ich-Reinigung, eine Lösung des Ichs, dass kann nur eine Therapeutin erkennen, die diesen Zustand selber erlebt hat. 

Für die betroffene Person ist es zunächst ungeheuer provokant, das vom Therapeuten zu hören, da es ihr unglaublich schlecht geht. Nur eine Therapeutin, die diese Tiefen kennt, kann glaubhaft vermitteln, das es sich um einen spirituellen Prozesshandelt – dann kommt es beim Gegenüber zur Annahme dieses Zustandes. Mit Annahme bezeichne ich die tiefe Demutzu erkennen, dass Ichdiesen Zustand nicht „machen“ kann, dass Ichdiesen Zustand auch nicht beenden kann, dass Ichmich mit meinem Leid nur in die Hände des Transpersonalen geben kann: Ich mache eine tiefe Verbeugung vor dem Unermesslichen, dass da geschieht.

Was ist jetzt hilfreich?

Zunächst  braucht es immer wieder das Gespräch, dass dem Klienten die Möglichkeit gibt, Alles, was innerlich erfahren wird, auszudrücken, ohne jegliche Bewertung. Vom Therapeuten braucht es den Zustand innerer Weite und Offenheit, Alles, was gesagt wird anzunehmen.

Wichtig ist auch, dem Gegenüber immer wieder zu erklären, dass es nicht unter einer klassischen Depression leidet, sondern sich ein Reinigungsprozess vollzieht. Dieser Prozess braucht Mut, denn ein zurück gibt es nicht, es gibt nur ein voranschreiten in Geduld und Vertrauen. Machen kann das Ichgar nichts, es kann nur den ganzen Prozess in den „heilenden Raum“abgeben.

Deshalb sollte sich der Betroffene auch nicht in die Depression hineingeben, sondern sich immer wieder von ihr distanzieren mit dem Wissen, dass er einen Körper hat, aber nicht der Körper ist, dass er Gefühle und Gedanken hat, aber nicht diese Gefühle ist

Wieder ist die Versuchung des Ichsgroß, sich mit diesem Zustand zu identifizieren. Dabei geht es nicht darum, die Gefühle zu verdrängen oder abzuspalten, sondern ihnen ihren Platz zuzuweisen. 

Was stört es den Himmel, wenn Wolken an ihm vorbei ziehen. 

Die Weisen verwenden die Metapher des Spiegels: sei ein Spiegel, der die Gefühle und Gedanken spiegelt, aber bleibe du der reine Spiegel dabei, der das Geschehen nicht bewertet und der bemerkt, dass dieses Geschehen abläuft, ohne dass du darauf Einfluss nehmen kannst. Es ist ein emotionales oder psychisches Geschehen, aber es ist nicht dein eigentliches Wesen.

Hilfreich ist dabei, die Aufmerksamkeit auf das Jetztzu lenken, jetzt atme ich, jetzt gehe ich, jetzt übe ich eine Tätigkeit aus. 

Tätigkeiten in der Natur, Gartenarbeit, Sport, Musik, Malen geben oft die Möglichkeit, das Empfundene auszudrücken. Dabei spielt es oft eine untergeordnete Rolle, was ich tue. Entscheidend ist die innere Haltung der Achtsamkeitund Langsamkeitin dem, was ich tue. In der Wahrnehmung des Augenblicks, in der Präsenz, kann oft bemerkt werden, dass da keinerlei Ichist, dass Beschwerden hat. Aber sobald wieder Denken einsetzt, kehrt die Angst vor der Angst zurück.

Wichtig finde ich auch, in diesem Zustand nicht nach Antworten oder Erklärungen zu suchen, sondern in dieser Lücke des Unerklärlichen zu verweilen. 

Johannes vom Kreuzverwendet für diesen Läuterungsprozess die Metapher desHolzscheites, der vom Feuer zunächst ausgetrocknet wird, dadurch dunkel und hässlich wird, dann aber mit fortschreitender Austrocknung immer heller leuchtet und Wärme abgibt: „…das Holzstück hat jetzt die Eigenschaften und die Wirkungen des Feuers in sich: Es ist trocken und macht trocken, es ist warm und macht warm, es ist licht und macht licht, und es ist viel leichter wie vorher…“ (aus „Die Dunkle Nacht“, 1586).

Wie lange dieser Zustand der Dunkelheit anhält ist sehr unterschiedlich, manchmal Tage, manchmal Wochen, sogar Monate oder Jahre.

Ist die innere Instanz der inneren Beobachtung schon gefestigt, dann kann in diesem Zustand deutlicher bemerkt werden, dass ich nicht der Körper bin, sondern ein Bewusstsein, dass weit darüber hinaus geht und die Integration vollzieht sich schneller.

Hilfreich in diesem Prozess ist weiterhin die Meditation, oft lieber gemeinsam mit Anderen als allein. Löst die Meditation allein noch zu viel Angst aus oder ist der Betroffene bisher kein Meditierender, dann sind gemeinsame Momente der Stille– besonders wenn vorher gesprochen wurde – eine sanftere Variante.

In der Meditationüben wir mit geschlossenen Augen in den Raum hinter den Augen zu schauen und zu beobachten, was geschieht. Dabei merken wir oft zum ersten Mal in unserem Leben, wie wenig Kontrolle wir über unser Fühlen und Denken haben: es denkt so vor sich hin und es fühlt irgendetwas. Wir merken, wie wir meinen, wir seien diese Gefühle und Gedanken und wie schwer es uns fällt, uns nicht damit zu identifizieren. Es braucht geduldige Übung, bis sich innere Gelassenheit und Ruheeinstellt. Allmählich erkennen wir, dass uns das permanente Denken und Fühlen die Illusion von Kontinuität vorspiegelt, dass Ich  nur eine Illusion ist .

Beginnen wir dann, uns mehr und mehr mit dem inneren Raum, den wir schauen zu verbinden, erkennen wir, dass dieser Raum immer da ist, nie verschwindet und von Allem, was im Außen passiert, unberührt bleibt. Er scheint sich immer weiter und tiefer zu öffnen, grenzenlos, leer und dicht gefüllt zugleich. Dieser Raum ist das, was bleibt, wenn das personale Ich verschwindet.

Die Erkenntnis, dass wir dieser Raum sind, löst auch bei erfahrenen Meditierenden oft eine ähnliche Angst aus wie bei Menschen, die unverhofft ihre Ich-Strukturen verlieren, wie ich oben beschrieben habe. Es stellt sich nämlich plötzlich ein Zustand von Körperlosigkeit und Zeitlosigkeit ein, das begrenzte Raumempfinden im Körper geht verloren, denken und fühlen finden nicht mehr statt, das Innere wird grenzenlos, unendlich weit und leer – ohne jegliche Möglichkeit der Verankerung: mit beiden Beinen fest im Nichts.

Um durch diesen Zustand hindurch zu gehen, ist es hilfreich, eine Verankerung im Atem zu haben: innehalten – ausatmen – zurück treten – hinschauen – weiter gehen.

Dies ergibt sich aus der Atembeobachtung in der Meditation, ist aber auch als Mikrotechnik  gut im Alltag anwendbar.

Dieser Zustand ähnelt dem prä-personalen Bewusstseinszustand, wo es kein Abgetrennt-sein gibt. Aber im Unterschied dazu bleibt jetzt Bewusstsein erhalten, das Unterscheidungsvermögen wird beibehalten. Eine Art Wachheit in mir bemerkt Sein undeine unendliche Stille und Leere. In diesem Moment erschrecken viele Meditierende, denn es ist kein Wohlbefinden mehr da, es ist nur noch Leere und Weite. 

Auch dieser Moment braucht erfahrene Begleitung, denn es geht darum in diesemMoment, in dem sich Trennung aufhebt, zu verweilen, sich in seine Weite ohne Angst hinein zu entspannen. 

Viele schrecken davor zurück und suchen wieder Verankerung im Ich. Vielleicht gab es die Vorstellung, der transpersonale Raum sei mit Glückseligkeit oder dem Empfinden von Ruhe verbunden, und jetzt ist da plötzlich Nichts. Einfach Nichts, Leere. 

Um der Versuchung, auf das Altbekannte zurückzugreifen, nicht zu erliegen, braucht es Führung: und führe mich in dieser Versuchung. Jetzt ist die Versuchung groß, auf alte Verhaltensmuster im neurotischen Sinne zurück zu greifen, oder sich durch Arbeit, Vergnügungen, Alkohol oder Ähnlichem abzulenken und zu kompensieren.

Mit therapeutischer und/oder spiritueller Begleitung gelingt es leichter, die Angst vor der Leere aus zu halten, sie solange zu konfrontieren, bis sie sich wandelt, transformiert, schließlich verschwindet.

Jetzt gibt es keine Trennung mehr zwischen dem Beobachter, dem Subjekt, dem was beobachtet wird, also dem Objekt, und dem Prozess des Beobachtens. All das ist eins geworden, es ist der Zustand des Beobachtens an sich. Er ist unbewegt, ganz still. Er beendet, er erwirkt Aufhören, es entstehen keine neuen Verwicklungen mehr. Jetzt kann angstfrei erkannt werden, das wir diese unendliche Weite und Stille sind, ohne Anfang, ohne Ende, ohne Mitte, grenzenlos und zeitlos, ewig. Diese Ungeheuerlichkeit kann nur in einem vorbereiteten Gefäß einer stabilen Persönlichkeit gehalten und damit  containt werden. Die Wahrnehmung wird dabei verfeinert und subtiler, während die damit verbundenen Energien äußerst intensiv werden. Dies kreiert innere Hitze, die auf der Körperebene unangenehm werden kann.

Dieser Bewusstseinszustand kann nicht herbeigeführt werden, er stellt sich ein, er ist eine Gnade. Die Vorbereitung darauf und die eigene Bemühung liegt in der Übung der Meditation. Stellt sich dieser Zustand regelmäßiger ein, dann gewöhnt sich das Körpersystem immer mehr daran und der Zustand vertieft sich mehr und mehr. 

Durch diese Vertiefung bleibt er auch im Wachzustand, erst wie ein Nachhall, dann immer deutlicher und es kann bemerkt werden, das es weiter möglich ist in der relativen Welt zu agieren. Alle Möglichkeiten des Ichsbleiben vorhanden, aber es ist keine Verhaftung mehr darin. Die Dinge des Alltags, die getan werden müssen werden getan, ohne dass es einen eigenen Willen darin gäbe. Es wird angemessen gehandelt. 

DasIchhat sich in den Dienst der Sache gestellt, es übernimmt die Alltagsrolle, aber es entsteht keine Kontinuität mehr. Gefühle tauchen auf, werden ausgedrückt und tauchen wieder ab. Sie haben nicht mehr die frühere Intensität. Die Vergangenheit ist noch mental erinnerbar, aber es gibt keine emotionale Reaktion mehr darauf. Das Nachhall und damit die Nachwirkungen der Vergangenheit sind vorüber. 

Der Gedankenfluss ist viel geringer als früher, dafür sehr präzise und differenziert. Die Wahrnehmung ist sehr fein und erfasst eine Situation oder ein Gegenüber sehr genau. Es ist, als sei die Wahrnehmung erweitert und sehr fokussiert. Das Gegenüber wird mit Abstand wahrgenommen: so wie deutlich ist, dass Ichnicht die Person bin, wird auch im Gegenüber weniger die Ebene der Persönlichkeit wahrgenommen, sondern mehr das reine Bewusstsein, dass sich im Anderen auf seine individuelle Weise zeigt und ausdrückt.

Dieser Zustand ist mit Angstfreiheitverbunden, was das Gegenüber sofort spürt. Dadurch entsteht beim Gegenüber Vertrauen, sich auch selber dem Zustand der unendlichen Weite und Stille anzuvertrauen.

Wird dieser Zustand noch in irgendeiner Weise als angenehm erfahren, sind das letzte Identifikationen, die auch losgelassen werden müssen. Es sind die letzten Verführungendes Ichs, bis sich der Zustand des reinen Bewusstseins, der kein Zustand ist sondern unser wahres Sein, einstellt. Dann kann das ständige Fließen von allem gesehen werden und darin die immanente Ruhe. 

Autorin: Christiane Peltzer

Weitere Informationen und Kontakt:
www.peltzerundpeltzer.de
www.parasamvit.de

Eine Idee zu “Und führe mich in der Versuchung – Begleitung durch die Dunkle Nacht der Seele

  1. Christl sagt:

    Vielen Dank für diesen wunderbaren Beitrag. Hier wird völlig ausreichend und fokussiert dargestellt, was an Einsichten in mir nach erfolglosen Psychotherapien und Behandlungen gegen Depressionen und meinem eigenen Suchen in Dutzenden von Büchern gerade heranreift. Wenn ich den Beitrag früher gekannt hätte, hätte ich Einiges Leid, Zeit und Geld sparen können. Aber ohne die „Umwege“ hätte mich der Beitrag vermutlich nicht so angesprochen . Ich bin auf jeden Fall durch die Lektüre in meinem eigenen Weg sehr bestärkt worden.

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